Medikamentensucht – Was ist das?
Medikamentensucht beschreibt den Teil der substanzgebundenen Störungen, bei denen die problematisch konsumierten Medikamente sind. Dabei handelt es sich häufig um ein ärztlich verschriebenes Medikament, wobei bestimmte Substanzklassen ein höheres Suchtpotenzial aufweisen als andere.
Eine Medikamentensucht wird häufig erst spät entdeckt, da die Betroffenen meist noch ein gutes Funktionsniveau besitzen und die Medikamenteneinnahme als vom Arzt verordnet begründet wird.
Eine Medikamentensucht kann meist nur noch mit professioneller Hilfe bewältigt werden.
Oft werden die Begriffe Medikamentenabhängigkeit und Medikamentenmissbrauch missverständlich als Synonyme angesehen. Bei einer Medikamentensucht spricht man auch von einer körperlichen und psychischen Abhängigkeit. Bei einem Medikamentenmissbrauch tritt dies in den meisten Fällen nicht ein, dieser kann jedoch zu körperlichen Folgeschäden führen. Unter dem Begriff “Missbrauch” versteht man, dass ein Medikament zu lange, in einer zu hohen Dosis und/oder ohne die ausreichende medizinische Indikation eingenommen wird.
Es wird zwischen einer körperlichen und psychischen Abhängigkeit differenziert. Bei einer körperlichen Abhängigkeit können nach Absetzen des Medikamentes körperliche Entzugserscheinungen wie bspw. Blutdruckschwankungen, Zittern, Schwitzen auftreten. Zudem kommt es bei einer körperlichen Abhängigkeit häufig zu einer Toleranzentwicklung, wobei der Betroffene eine zunehmend höhere Dosis des Medikamentes konsumieren muss, um den gewünschten Effekt zu erreichen.
Unter einer psychischen Abhängigkeit versteht man unter anderem das starke Verlangen, auch “Craving” / Suchtdruck, nach dem jeweiligen Medikament. Das Absetzen oder die Reduktion zieht in diesem Falle häufig eher geringe körperliche Entzugserscheinungen nach sich, dennoch spürt der Betroffene deutlich das Verlangen nach dem Medikament. Hierbei spielt das Gefühl, das Medikament unbedingt zu brauchen, um bspw. die Leistungsfähigkeit oder das eigene Wohlbefinden zu erhalten oder zu steigern, die übergeordnete Rolle.
Symptome
Die Substanzgruppen mit dem höchsten Suchtpotenzial sind:
- Schlaf- und Beruhigungsmittel (bspw. Benzodiazepine)
- Anregungsmittel und Appetitzügler (bspw. Amphetaminabkömmlinge wie Ritalin)
- Schmerz- und Betäubungsmittel (bspw. Opioide)
Schlaf- und Beruhigungsmittel entwickeln ihr Suchtpotenzial meist bei einer Einnahme über einen längeren Zeitraum. Sie führen dabei zu einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit, sowie einer erhöhten Toleranzentwicklung. Das heißt der Betroffene muss eine höhere Dosis zu sich nehmen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Die Symptome der langfristigen Einnahme hierbei sind meist Abfall der Leistungsfähigkeit, Interessenverlust und Persönlichkeitsveränderungen. Bei Absetzen des Medikamentes können Entzugserscheinungen wie Schwächegefühl, Schwindel, Zittern und Angstzustände auftreten. Bei einer erhöhten Einnahme oder einer Einnahme über einen längeren Zeitraum kann eine Wirkungsumkehr erfolgen. Dabei wendet sich die Wirkung des Medikamentes in die gegenteilige Richtung und der Betroffene wird nach der Einnahme nicht mehr müde und ruhig, sondern eher aktiviert und erregt.
Anregungsmittel und Appetitzügler bilden nach der Einnahme über einen längeren Zeitraum eine hohe Gefahr für eine Abhängigkeit. Bei Absetzen des Mittels können starke Entzugserscheinungen wie Müdigkeit, psychomotorische Verlangsamung, Unruhe, Depression und Schlafstörungen auftreten.
Schmerz- und Betäubungsmittel führen bei Einnahme einer falschen Dosis oder bei einer falschen Anwendungsdauer zu einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit sowie einer erhöhten Toleranzentwicklung. Bei einer zu häufigen Einnahme kann als Nebenwirkung ein Dauerkopfschmerz eintreten. Bei Absetzung des Medikamentes kommt es zu Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Zittern, Unruhe, Muskelschmerzen, Schlafstörungen, Verspannungen, Stimmungseinbruch und Bewusstseinsstörungen.
Neben den körperlichen Anzeichen der Entwicklung einer Abhängigkeit, können auch bestimmte Verhaltensweisen entstehen, die den übermäßigen Konsum verdecken sollen. Wenn der Arzt das Medikament nicht weiter verschreiben möchte, entwickeln Betroffene häufig ein Netzwerk aus unterschiedlichen Ärzten und Apotheken, welche sie abwechselnd besuchen, um nicht zu sehr auf den übermäßigen Konsum aufmerksam zu machen. Häufig werden die Medikamente gehortet und an allen möglichen Orten versteckt, so dass der Patient die Sicherheit hat, immer irgendwo einen Vorrat an Tabletten zu haben.
Ursachen
Auch bei der Entstehung einer Medikamentenabhängigkeit können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen.
Das soziale Umfeld spielt vor allem in der Kindheit und Jugend eine wichtige Rolle. Kinder, deren Eltern oft Tabletten einnehmen und somit den Eindruck vermitteln, dass Tabletten eine Lösung sind oder zu einer Reduktion bestimmter Beschwerden führen, sind eventuell im Erwachsenenalter auch eher dazu geneigt, häufiger Tabletten zu nehmen. Eine weitere Rolle spielt der persönliche Umgang mit Medikamenten. Personen, die bei Befindlichkeitsstörungen Medikamente einnehmen, weisen ein höheres Risiko auf, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Auch der verschreibende Arzt kann bei der Entstehung einer Abhängigkeit eine Rolle spielen. Wenn der Arzt keine Diagnose für die Ursache stellen kann, kommt es häufig zu einer Symptombehandlung. Dies kann sehr problematisch sein bei Medikamenten mit einem hohen Suchtpotenzial. Diese können bei psychischen oder physischen Krisen vorübergehend hilfreich sein. Da die Ursache jedoch nicht gefunden bzw. behandelt wird, wird die Einnahme häufig nach der Überbrückungszeit weitergeführt.
Die Entstehung einer Medikamentenabhängigkeit kann auch psychische Auslöser haben. Auch viele körperliche Beschwerden können eine psychische Ursache oder durch psychische Belastungen beeinflusst werden, welche hierbei häufig übersehen wird.Diese können Medikamente alleine nicht beheben.
Auch der immer zunehmende Leistungs- und Erfolgsdruck im Beruf oder Alltag können die Entstehung einer Abhängigkeit begünstigen. Betroffene meinen mit der Einnahme bestimmter Medikamente die Herausforderungen des (Berufs-)Alltags besser meistern zu können (ständige Erreichbarkeit, “Abschalten” können, höhere Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit).
Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass auch das Geschlecht ein Risikofaktor darstellt. Hierbei sind Frauen häufiger von einer Medikamentenabhängigkeit betroffen als Männer. Zudem konnte auch nachgewiesen werden, dass Frauen bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen eher einen Arzt aufsuchen als Männer.
Ein weiterer Risikofaktor ist das Alter, hierbei vor allem ein höheres Alter. Ältere Menschen leiden deutlich häufiger unter einer Medikamentenabhängigkeit als jüngere Personen.
In der Rauschmittelszene werden Medikamente oft als Zusatz zu Alkohol und Drogen konsumiert, um den Effekt eines Rausches zu steigern. Bestimme Medikamente können bei entsprechender Dosierung ebenfalls einen Rauschzustand auslösen.
Therapie
Das Vorgehen bei der Therapie für Medikamentenabhängigkeit ähnelt der für andere Abhängigkeiten. Je früher der Betroffene sich Hilfe sucht, desto besser. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass sich Betroffene höheren Alters bzw. in einem späteren Stadium der Abhängigkeit scheuen sollte, eine Therapie zu machen/in Anspruch zu nehmen. Eine Therapie ist unabhängig von Alter und Schweregrad der Sucht immer eine sinnvolle Entscheidung.
In einem ersten Schritt der Therapie liegt der Fokus darauf, die körperlichen Entzugssymptome medizinisch zu überwachen und medikamentös zu kontrollieren. Dabei wird das Medikament oder ein Austauschpräparat schrittweise abgesetzt, d.h. die Medikamentendosis wird langsam reduziert. Je nach Schwere der zu erwartenden Entzugssymptomatik ist es ratsam, die Entzugsbehandlung stationär oder teilstationär durchführen zu lassen.
Nach der Behandlung der körperlichen Entzugssymptomatik wird im nächsten Schritt die Stabilisierung angestrebt. Dabei lernt der Betroffene, in Situationen, die den Suchtdruck auslösen, nicht auf die Einnahme der Medikamente zurückzugreifen, sondern Alternativen zu nutzen. Solche Alternativen können beispielsweise Sport oder Entspannungstechniken sein. Wichtig ist es, diese Alternativen regelmäßig zu üben, so dass diese sich automatisieren und bestenfalls schnell wirksam sind. Die Einsicht, dass die Einnahme des Medikamentes nur kurzfristig eine Erleichterung schafft, langfristig jedoch deutlich mehr negative Konsequenzen mit sich zieht, ist ein großes Ziel der Stabilisierungsphase. Auch in diesem Falle handelt es sich um eine multimodale Therapie, in der Ärzte, Psychologen, Psycho-, Ergo-, Sport-, Musik-, und Kunsttherapeuten gemeinsam mit dem Betroffenen arbeiten.
Diese Angebote finden häufig in unterschiedlichen Settings statt, wie bespw. Gruppen- oder auch Einzeltherapie. Die Gruppentherapie bietet den Vorteil, dass die Betroffenen sich untereinander austauschen können und von den Erfahrungen der Anderen profitieren und lernen können.
Weitere Informationen zu den Behandlungsmöglichkeiten finden Sie unter:
www.zi-mannheim.de
www.pzn-wiesloch.de